Geritzt – Die Wunde als Ventil

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“Wenn ich innerlich nichts mehr wahrnehme, wie tot bin, bringt mich das Schneiden wieder zurück auf die Erde – ich kann mich wieder spüren”, sagt die 20-jährige Ulrike – ihre Arme sind voller Schnittwunden. Schon in der Grundschule hat sie angefangen, sich selbst zu verletzen. Der Überbegriff für dieses selbstverletzende Verhalten heißt Borderline. Ulrike, Hannah und Dörte suchen einen Ausweg und Hilfe in der Charité, Berlin – sie wollen nicht mehr ritzen. Borderline ist eine in Fachkreisen bekannte Persönlichkeitsstörung, die erst in den letzten Jahren zu einem öffentlichen Thema wurde. Die drei jungen Frauen durchlaufen ein drei monatiges Therapieprogramm, denn sie verletzen sich alle drei selbst – mit Messern, Rasierklingen, Glasscheiben oder anderen scharfen Gegenständen. Ihre Arme sind übersäht von tiefen und auch oberflächlichen Narben, die sie sich über Jahre hinweg immer wieder zugefügt haben. Passiert ist das in Situationen, in denen sie sich überfordert fühlten – die Narben geben darüber Zeugnis. Schnitt, Flash, Ruhe Drei Ursachen führen laut Experten dazu, dass jemand versucht, seine inneren Schmerzen durch äußere zu betäuben: Vernachlässigung, körperliche Gewalt oder sexuelle Übergriffe in der Kindheit und Jugend. Ritzen beginnt immer mit einer depressiven Stimmung und gilt als Symptom einer tief liegenden Störung. Wer sich selbst verletzt, fühlt sich fast immer einsam und von allen verlassen. Betroffene erleben, dass ein äußerer Schmerz von einem inneren Schmerz abgelenkt wird. Wenn die Gefühle explodieren, wird die Wunde zum Ventil, durch das der Innendruck nach außen kommt. Beim Ritzen werden Opiate ausgeschüttet, und das Gefühl der Erleichterung tritt ein, wie nach einem Crack-Trip: Schnitt, Flash, Ruhe. Erst fühlt sich der Betroffene verletzt, dann verletzt er sich selbst. Im Moment der Selbstverletzung werden also innere Spannungen gelöst, aber auch der Gedanke der Selbstbestrafung spielt bei manchen Betroffenen eine Rolle. Denn die Narben bleiben. Manche ritzen auch, um sich schlicht wieder zu spüren, ein normales Körpergefühl wieder herzustellen.

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